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Scholz gibt den Krisenmanager – nur beim Thema Cum-Ex verliert der Kanzler kurz die Fassung

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Von: Fabian Hartmann

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Sommer-Pressekonferenz Bundeskanzler Scholz
Berlin: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach in der Bundespressekonferenz während der Sommer-Pressekonferenz über Themen der Innen-und Außenpolitik. © Kay Nietfeld/dpa

Es war ein mit Spannung erwarteter Auftritt: In Berlin stellte sich Olaf Scholz den Fragen der Hauptstadtjournalisten. Der Kanzler zeigte Entschlossenheit – nur bei einem Thema blieb er schmallippig.

Berlin – Für Olaf Scholz war es eine Premiere. Natürlich war der SPD-Politiker schon in der Bundespressekonferenz. Um genau zu sein: 33 Mal. In seiner langen Karriere als Hamburger Bürgermeister, als Minister. Aber eben nicht als Kanzler. Am Donnerstag stellte sich Scholz in seiner Funktion als Regierungschef erstmals den Fragen der Hauptstadtjournalisten – fast zwei Stunden lang, ein Ritt durch die Innen- und Außenpolitik. Die vielleicht größte Überraschung: Der Kanzler selbst.

Scholz präsentierte sich schlagfertig, wirkte nach seinem Urlaub erholt – und ließ immer wieder Humor durchblitzen. Etwa, als er sich – erstaunlich deutlich – hinter die Pläne seines Finanzministers Christian Lindner (FDP) stellte, der die kalte Progression im Steuertarif ausgleichen will. Murren bei SPD und Grünen? Scholz dazu: „Der Finanzminister Scholz hat selbst zweimal die kalte Progression ausgeglichen.“ Und dann nach einer Kunstpause: „So schlecht kann die Idee also nicht sein“. Gelächter im Saal.

Kanzler Scholz steht Rede und Antwort – und springt seinem Finanzminister zur Seite

Es war ein größtenteils souveräner Auftritt, den der Kanzler – übrigens ohne Krawatte – hinlegte. Scholz wiederholte seinen inzwischen legendären Satz: „You‘ll never walk alone“. Von einer „schwierigen Zeit“, sprach der SPD-Politiker. Seine Regierung plane weitere Hilfen – und „steuerliche Entlastungsmaßnahmen gehören dazu“, sagte Scholz. Die Ideen des Finanzministers seien „sehr, sehr hilfreich“. Die FDP wird‘s freuen. Auch an anderer Stelle unterstütze Scholz die Position der Liberalen: Die Einhaltung der Schuldenbremse im nächsten Jahr stellte der Kanzler – anders als mancher bei SPD und Grünen – nicht infrage. Krisenstimmung in der Ampel? Scholz gab den Moderator, sprach von „Gemeinschaftsleistungen“ der Koalition. Die drei Parteien seien nun mal unterschiedlich. Man kann auch sagen: Die Ampel ist ein Zweckbündnis. Und als solches betrachtet es der Kanzler auch.

Vor der Hauptstadtpresse griff Scholz ein zentrales Schlagwort seines Wahlkampfs auf: Respekt. Bei Entlastungen liege sein Fokus auf kleineren und mittleren Einkommen, sagte der SPD-Politiker. Die geplante Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro zum 1. Oktober hob Scholz hervor, ebenso wie die „massive Ausweitung“ des Wohngelds. Einzelne Maßnahmen müssten als Teil eines Gesamtpakets gesehen werden. Dazu gehört für Scholz auch das von der Ampel geplante Bürgergeld, das Hartz IV ablösen soll. SPD und Grüne würden die Leistungen gerne deutlich erhöhen, die FDP blockt. Und der Kanzler? Blieb vage. „Am Ende wird über die Höhe entschieden“, sagte Scholz.

Gas-Krise: Olaf Scholz wirbt für Pipeline durch Europa

Klar ist: Angesichts steigender Energiepreise könnte dem Land ein „heißer Herbst“ drohen. Ob er soziale Unruhen befürchte, wurde Scholz gefragt. Nein, das glaube er nicht. In Deutschland gebe es einen starken Sozialstaat. „Wir lassen niemanden allein, und in der Krise haken wir uns unter“, sagte Scholz. Angesichts gedrosselter Energie-Lieferungen aus Russland warb der Kanzler für ein weniger bekanntes Projekt: eine Gas-Pipeline, die von Portugal bis nach Mitteleuropa führt. „Die würde jetzt einen massiven Beitrag zur Entlastung und Entspannung der Versorgungslage beitragen“, sagte der Kanzler. Er habe auf europäischer Ebene „sehr dafür geworben, dass wir ein solches Projekt anpacken“, so Scholz.

In seinen Aussagen war der Kanzler klar, redete größtenteils ruhig und langsam. Auf schmallippige Antworten versuchte Scholz zu verzichten. Nur bei einem Thema wirkte der Regierungschef alles andere als souverän. Als es um seine Rolle als Bürgermeister in der Affäre um Steuertricks („Cum-Ex“) der Hamburger Bank Walburg ging, sagte Scholz: nichts. Der Kanzler muss nächste Woche im Untersuchungsausschuss in der Hansestadt Rede und Antwort stehen. Der Termin hat Brisanz. Seine Sprachregelung vor der Hauptstadtpresse: Seit zweieinhalb Jahren werde der Fall untersucht. Es sei nichts gefunden worden.

Wie angespannt Scholz ist, zeigt sich, als ihn ein Journalist auf mögliche eigene Verwicklungen direkt anspricht – angeblich habe der Chef der Warburg-Bank nach einem Treffen mit Scholz Steuergelder einbehalten dürfen. „Sie würden diese Tatsachenbehauptung nicht erhärten können, wenn Sie es müssten“, zischte Scholz. Und schob hinterher: „Bedenken Sie das, wenn Sie so etwas sagen“. Eine kaum verhohlene Klage-Drohung. Der Kanzler gab vor den Berliner Journalisten den nationalen und internationalen Krisenmanager. Nur bei der Krisenkommunikation in eigener Sache war davon nicht mehr viel zu sehen.

Politikkenner Albrecht von Lucke lobt Scholz-Auftritt „Ich fand ihn überraschend stark“

Und dennoch: Unterm Strich bleibt ein kämpferischer Auftritt – was auch Beobachter des politischen Betriebs so sehen. „Olaf Scholz ist rhetorisch in die Offensive gegangen“, sagte der Politikwissenschaftler und Autor („Blätter für deutsche und internationale Politik“) Albrecht von Lucke im Gespräch mit Merkur.de von IPPEN.MEDIA. „Es war der Versuch eines Neuanfangs nach einem schwachen Start“, so der Politikkenner. Der Kanzler habe vor der Presse seinen Führungsanspruch unterstrichen – und es sei ihm gelungen, die langen Linien seiner Politik zu skizzieren. Scholz habe sich einerseits loyal hinter seinen Finanzminister gestellt, andererseits aber auch das sozialdemokratische Kernanliegen Gerechtigkeit hervorgehoben.

Im Duell mit Vize-Kanzler Robert Habeck habe Scholz kommunikativ Boden gutgemacht, findet von Lucke. „Für den Kanzler ging es darum, wieder die Deutungshoheit zu erlangen“, sagt der Experte. Während sich Scholz in der Vergangenheit oft wortkarg gegeben habe, sei er heute – zumindest für seine Verhältnisse – geradezu redselig, teilweise sogar selbstironisch und klar gewesen. „Ich fand ihn überraschend stark“, urteilte von Lucke.

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Ein weiterer interessanter Aspekt an diesem Tag: Das Thema Corona spielte in den knapp zwei Stunden (fast) keine Rolle. Dafür wurde Scholz am Ende der Pressekonferenz gefragt, ob er Angela Merkel angesichts der Vielzahl der Krisen manchmal vermisse. Der Kanzler lächelte. Er telefoniere gerne mit seiner Amtsvorgängerin, sagte Scholz. Aber er sei jetzt auch gerne Bundeskanzler.

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