Deutschland abhängig von Russlands Gas? Trumps Zahl verwundert

Donald Trump hat Deutschland beim Nato-Gipfel scharf kritisiert und der Bundesregierung vorgeworfen, bei Erdgaslieferungen abhängig von Russland zu sein. Er nennt die Zahl „70 Prozent“ - hat der US-Präsident Recht?
Was ist Trumps Vorwurf?
Deutschland sei wegen der Gaslieferungen ein "Gefangener Russlands", kritisiert Trump. Die Bundesrepublik zahle "Milliarden über Milliarden" für Gas an Russland und lasse sich dann von der Nato vor Russland beschützen - ohne selbst genug für Verteidigung auszugeben.
Es sei "sehr traurig", dass Deutschland einen "gewaltigen Öl- und Gasdeal" mit Russland unterzeichnet habe - ein Seitenhieb auf das Pipelineprojekt Nord Stream 2. Letztlich werde bei Erdgas in Deutschland "fast 70 Prozent" von Russland kontrolliert, behauptet Trump.
Wie sieht die Lage für Deutschland aus?
Die Bundesrepublik ist bei Erdgas in der Tat abhängig von Importen - nur etwa sieben Prozent stammen aus inländischer Förderung. Das Bundeswirtschaftsministerium verweist allerdings darauf, dass es bei der Versorgung mit Gas und Öl eine "diversifizierte Struktur" gebe.
Nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen bezog Deutschland im Jahr 2015 rund 40 Prozent Erdgas aus Russland, 29 Prozent aus den Niederlanden und 21 Prozent aus Norwegen. 2017 lag der Importanteil aus Russland dem Ministerium zufolge bei "rund" 40 Prozent.
Das Problem: Da die Zahl der Unternehmen, die Erdgas aus Russland importieren, in Deutschland inzwischen auf unter drei gesunken ist, dürfen hierzu aus Datenschutzgründen keine genauen Zahlen mehr veröffentlicht werden.
Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) verweist allerdings darauf, dass die Erdgasversorgung in den vergangenen Jahren sicherer geworden sei. "Die Erdgas-Infrastruktur wurde so umgebaut, dass Gas in beide Richtungen fließen kann, also auch von West nach Ost - dies ist besonders wichtig für einige Länder in Mittel- und Osteuropa", sagt BDEW-Hauptgeschäftsführer Stefan Kapferer.
Wie wichtig ist Erdgas für Deutschland?
Erdgas hat im deutschen Energiemix an Bedeutung gewonnen: 2017 stieg der Anteil laut der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen von zuvor 22,7 auf 23,8 Prozent - der zweitgrößte Posten hinter Mineralöl mit einem Anteil von 34,5 Prozent. Verwendet wird das Erdgas vor allem in Kraftwerken zur Strom- und Wärmeversorgung. Zum Anstieg 2017 trugen auch die vergleichsweise kalten Wintermonate bei.
Was sind die möglichen Motive für Trumps Kritik?
Den USA ist Nord Stream 2 ein Dorn im Auge. EU-Vertreter hatten deshalb zuletzt die Vermutung geäußert, dass Washington in Europa politischen Druck gegen die Pipeline aufbauen wolle - auch weil die USA ihrerseits die Produktion von Schiefergas zuletzt massiv angekurbelt haben und nun weltweit auf der Suche nach Absatzmärkten für bisher nicht konkurrenzfähiges US-Flüssiggas seien.
Umstritten ist die Pipeline allerdings auch in der EU: Ziel der Kommission in Brüssel ist eigentlich, die Abhängigkeit von Moskau im Energiebereich zu verringern.
Was ändert sich, wenn North Stream 2 in Betrieb geht?
Durch die erste Nord-Stream-Pipeline können 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr strömen. Laut Betreiber ist das genug, um etwa 26 Millionen Haushalte zu beheizen. Nord Stream 2, deren Bau 2019 abgeschlossen werden soll, hat die gleiche Kapazität - die Durchflussmenge in Richtung Westeuropa kann sich dadurch also verdoppeln.
Zum Vergleich: 2015 lag das Gesamtaufkommen von Erdgas in Deutschland nach Angaben der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe bei einem Volumen von 124,8 Milliarden Kubikmetern. Daran hatte Russland einen Anteil von gut 31 Prozent. Der Verbrauch lässt sich hieraus allerdings nicht genau ableiten - denn ein Viertel des gesamten Erdgasaufkommens wurde wieder aus Deutschland exportiert.
AFP