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Altmaier wütet bei „Hart aber fair“: Nawalny war „feiger Mordanschlag“ - Sanktionen will er keine

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Von: Cornelia Schramm

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Zum Thema „Vergiftete Beziehungen: Wie umgehen mit Putins Russland?“ diskutierte gestern Frank Plasberg mit seinen Gästen in der ARD-Talkshow „Hart aber fair“.
Zum Thema „Vergiftete Beziehungen: Wie umgehen mit Putins Russland?“ diskutierte gestern Frank Plasberg mit seinen Gästen in der ARD-Talkshow „Hart aber fair“. © Screenshot „Hart aber fair“/ ARD

Der Fall Nawalny schlägt hohe Wellen. In „Hart aber Fair“ (ARD) wurde hitzig über die „vergiftete Beziehung“ zwischen Berlin und Moskau diskutiert: Nord Stream 2 wackelt plötzlich erheblich.

Berlin - „Keine Frage, da zieht ein Sturm auf“, kommentiert „Hart aber Fair“-Moderator Frank Plasberg das politische Geschehen rund um den russischen Oppositionellen Alexej Nawalny, der derzeit auf einer rund um die Uhr überwachten Intensivstation der Berliner Charité behandelt wird. Mittlerweile hat sich der Vorwurf, der Kreml-Kritiker sei Opfer eines Giftattentats geworden, bestätigt. Nawalny wurde mit einem chemischen Kampfstoff der Nowitschock-Gruppe vergiftet und brach daraufhin zusammen - bis Montag (8. September) war er nicht ansprechbar und lag im künstlichen Koma. Russland bestreitet dies.

Video: Künstliches Koma beendet - Nawalny reagiert auf Ansprache

Plasberg meint also ein Gewitter politischer Natur ziehe auf - schließe doch auch Bundeskanzlerin Angela Merkel* (CDU) Sanktionen gegen die umstrittene Erdgaspipeline „Nord Stream 2“* inzwischen nicht mehr aus. Die Fronten zwischen der Bundesrepublik und Russland sind verhärtet. Die ARD-Talkshow „Hart aber fair“ ging daher am Montagabend zum Thema „Vergiftete Beziehungen - Wie umgehen mit Putins Russland?" auf Sendung. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), die Bundesvorsitzende der Grünen, Annalena Baerbock, Journalist Theo Sommer, der deutsch-russische Schriftsteller Wladimir Kaminer und Journalist Udo Lielischkies waren bei Frank Plasberg zu Gast.

Putins Kritiker leben gefährlich, denn mit dem Anschlag auf Nawalny wurde nicht zum ersten Mal versucht, einen Oppositionsführer mundtot zu machen. Im Berliner Tiergarten wurde 2019 ein russischer Ex-Militär erschossen. Die daraus resultierende Gretchenfrage: Was geht vor? Wirtschaft oder Moral? Muss man sich mit Putin arrangieren oder darf man künftig mit ihm nicht mehr verhandeln?

„Hart aber fair“: Altmaier (CSU) gegen Sanktionierung der „Nord Stream 2“

Überraschend deutliche Worte in der Talk-Runde findet zunächst Peter Altmaier: „Das war ein feiger Mordanschlag an einem russischen Bürger mit einem Material, das man nicht im Supermarkt kaufen kann“, sagt er und meint weiter: „Man darf Dinge nicht hinnehmen, wenn gegen fundamentale Menschenrechte verstoßen wird.“ Doch der Bundeswirtschaftsminister lenkt nochmal ein. Für eine Sanktionierung der russischen Pipeline spricht er sich keineswegs aus - ganz prinzipiell stellt er deren Sinn sogar infrage: „Ich kenne keinen Fall, wo ein Land wie Russland dadurch zur Veränderung seines Verhaltens gebracht wurde.“ Altmaier sei in jedem Fall dafür, den Gesprächsfaden mit Russland nicht abreißen zu lassen - etwa aber zu verschärfen.

Ich glaube, dass Menschenrechte vertreten werden müssen, aber wir müssen überlegen, dass man am Ende vielleicht mehr erreichen kann, wenn wir nicht mit allen Ländern brechen.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU)

Für die Grünen-Bundesvorsitzende Annalena Baerbock ein Ansatz der Wirtschaft über Moral stellt. Sie selbst würde „Nord Stream 2“ am liebsten sofort stoppen. Das Projekt entzweie nicht nur Europa, auch aus Umweltgründen wäre es nicht tragbar. Zudem kritisiert sie Putins perfides Machtregime und macht erneut unter anderem auf den Anschlag auf den russischen Agenten Sergej Skripal und seine Tochter in London vor zwei Jahren, die Besetzung der Krim sowie den Abschuss des Malaysia Airlines Flugzeuges MH17 aufmerksam. Alle genannten Fälle sind für Baerbock Warnsignale, die die internationale Staatengemeinschaft schon viel früher dazu bringen hätte müssen, sich kritisch mit der Pipeline auseinandersetzen.

Auch der Journalist Theo Sommer verurteilt den Fall Nawalny als „abscheuliche Tat“, die von der „Skrupellosigkeit des russischen Machtapparats“ zeuge, scharf. Als Journalist hat er in Zeiten des Kalten Krieges über Jahrzehnte für „Die Zeit“ über internationale Beziehungen berichtet. Ähnlich wie Altmaier lenkt Sommer jedoch ein. Man müsse besonnen auf den aktuellen Anschlag reagieren - dürfe also „nicht gleich die große Bertha“, die stärkste Waffe, zücken. Der sofortige Stopp von „Nord Stream 2“ würde für den 90-Jährigen deshalb auch einen „Schuss ins eigene Bein" bedeuten. Deutschland wäre schließlich abhängig von der russischen Erdgasversorgung.

„Hart aber fair“ im ARD: Wie im Kalten Krieg - So machtlos ist Deutschland gegenüber Russland

„Wir brauchen dieses Gas“, weiß Sommer. Noch immer könnten erneuerbare Energien, nach dem Ausstieg aus Kohle- und Atomstrom die Lücken (noch) nicht kompensieren. Pragmatisch und doch ernüchternd ist deshalb auch sein Resümee: „Wenn wir nur mit Staaten handeln, deren Moral wir billigen, wären wir ziemlich allein.“ Vielleicht müsse man Putin, ähnlich wie Donald Trump eben „aussitzen“, schlägt Sommer vor - und verfällt dabei ab und an rhetorisch in Jargon des Kalten Krieges: Man dürfe sich keine falschen Hoffnungen machen, denn sollte es irgendwann einen „Präsidenten Nawalny“ geben, wäre auch er „Russe“ und vertrete „russische Interessen".

Schriftsteller Kaminer zum Fall Nawalny: „Es ist nicht das erste Mal“

Der deutsch-russische Schriftsteller Wladimir Kaminer sieht jedoch einen Unterschied zwischen dem heutigen Russland und dem des Kalten Krieges: „Heute geht es um keine Ideologien mehr, sondern nur um den Reichtum des inneren Machtzirkels.“ Kaminer geht mit seinen Landsleuten hart ins Gericht und macht um den Giftanschlag auf Nawalny nicht so viel Aufhebens wie die Weltöffentlichkeit. „Es ist nicht das erste Mal“, meint er gestern Abend abgeklärt bei „Hart aber Fair“ - im Gegensatz zum Tiergarten-Mord vergangenen Jahres, der inmitten von Berlin stattgefunden habe, wäre Nawalny 1000 Kilometer weit weg gewesen.

Oppositionelle so aus dem Weg zu räumen, sieht Kaminer als seine „Art des politischen Kampfes - die einzige Art um an der Macht zu bleiben“. Für Putin gebe es keine Alternativen, weshalb er das skrupellose Vorgehen bestimmt weiter betreiben werde. Für Kaminer sei Russland ein „extrem aggressives Regime, das sein Land vergrößern will". Das zeige nicht zuletzt die Situation im Nachbarstaat Belarus, wo nach einer zweifelhaften Wiederwahl des Präsidenten Alexander Lukaschenko seine Gegnerin Maria Kolesnikowa in Minsk verschleppt wurde.

Video: Belarus - Oppositionsführerin Maria Kolesnikowa spurlos verschwunden

Trotzdem: „Nord Stream 2“ jetzt aufzugeben, hält Kaminer für keine gute Idee. „Wenn wir jetzt aussteigen, ist das keine Strafe für Putin. Die Chinesen werden jeden Kubikmeter Erdgas abnehmen“, beteuert der Schriftsteller. Ein Fakt, um den auch Journalist Udo Lielischkies weiß, leitete er doch vier Jahre lang das ARD-Studio Moskau. Doch für ihn sei mittlerweile allein die Sanktion von „Nord Stream 2“ ein „deutliches Zeichen für Putin“, denn die Methode „Wir reden mal miteinander“ sei inzwischen ja schließlich mehr als „dramatisch gescheitert“. Es sei ein Zeichen für ganz Russland als „autokratisches System der extrem zynischen Art“ - bedeute jeder Anschlag auf Kreml-Kritiker doch nur eine Machtdemonstration á la „das machen wir mit Menschen, die abtrünnig werden".

(cos) *Merkur.de ist Teil des Ippen-Digital-Netzwerks.

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