Englisch als zweite Amtssprache? In vielen Firmen braucht man ohnehin kein Deutsch mehr

Deutsch ist eine Hürde im internationalen Konkurrenzkampf um Fachkräfte. Forderungen nach Englisch als zweiter Amtssprache werden laut. Das ist teilweise bereits gelebte Realität.
Berlin/Köln – Des einen Freud, des anderen Leid, hat sich die bayerische Digitalministerin Judith Gerlach offenbar gedacht. Die Entlassungswelle im US-amerikanischen Silicon Valley kommentierte sie auf LinkedIn folgendermaßen: „Ich möchte Sie herzlich einladen, nach Bayern zu ziehen.“ Rosenheim, Augsburg oder München statt San Francisco? Auf geht’s – oder besser: Let‘s go.
Passend dazu schlug kürzlich Klaus Olbricht, Vize-Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer, vor, im Kampf gegen den Fachkräftemangel in Deutschland auf die Einführung von Englisch als zweiter Amtssprache zu setzen. Der Blick in die Praxis zeigt, dass Englisch zumindest in der Start-up-Szene und teilweise im deutschen Mittelstand bereits gelebte Realität ist.
Englisch als zweite Amtssprache: Start-up-Verband fordert Abbau sprachlicher Hürden
„Die dominierende Arbeitssprache in deutschen Startups ist mit 30 Prozent Englisch“, sagt Niclas Vogt vom Startup-Verband dem Münchner Merkur von IPPEN.MEDIA. Das gelte insbesondere für die Metropolen München (42,5 Prozent) und Berlin (62,9 Prozent). Dabei verweist er auf den „Deutschen Startup Monitor“ aus dem Jahr 2020. „Startups würden enorm profitieren, wenn Englisch stärker etabliert wird. Die Metropolen Berlin und München sind für Startups auch deshalb attraktiver, weil dort mehr Englisch gesprochen wird“, so Vogt.
Erschwerend komme hinzu, dass für Gründerinnen und Gründer mit Migrationsbiografie die Sprache eine hohe Hürde darstelle. „Aus unserer Sicht ist ganz klar die Politik gefordert, sprachliche Hürden abzubauen und Behördenformulare auf Englisch anzubieten“, sagt Niclas Vogt. Besonders in den Bereichen IT, Sales und Marketing seien deutsche Startups dringend auf Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen. Vogt setzt daher auf beschleunigte und erleichterte Einwanderung, wie sie die Bundesregierung mit der Erneuerung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes plant: „Für Startups ist es elementar, die Zuwanderung aus Drittstaaten deutlich zu vereinfachen und vor allem zu beschleunigen. Der Verzicht auf Sprachnachweise kann ein Game-Changer sein.“
So verkündete die Bundesregierung Ende vergangenes Jahr, die Einwanderung von Arbeitskräften erleichtern zu wollen und das Fachkräfteeinwanderungsgesetz von 2020 weiterzuentwickeln. „Die Vorstellung, dass per se alle Fachkräfte der Welt nach Deutschland kommen wollen, ist leider eine Illusion“, sagte damals Bundesarbeitsminister Hubertus Heil. Das liege auch an der deutschen Sprache. Ein Gesetzesentwurf ist in Arbeit und soll dem Bundestag im ersten Quartal 2023 vorgelegt werden.
Deutscher Mittelstand: Im Kampf gegen den Fachkräftemangel auf Zuwanderung qualifizierter angewiesen
Doch nicht nur in der Startup-Szene, auch im deutschen Mittelstand ist Englisch allgegenwärtig. Steffen Kawohl vom Deutschen Mittelstands-Bund (DMB) betont, dass Englisch insbesondere im MINT-Bereich gefragt sei. Die Verbreitung der englischen Sprache stelle für den deutschen Mittelstand eine Win-win-Situation dar. „Im Kampf gegen den Fachkräftemangel ist die deutsche Wirtschaft auf die Zuwanderung qualifizierter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer angewiesen. Mit zunehmender Möglichkeit, sich in englischer Sprache auszutauschen, würde die Sprachbarriere für internationale Fachkräfte wegfallen und der deutsche Arbeitsmarkt attraktiver werden“, sagt Kawohl dem Münchner Merkur von IPPEN.MEDIA. Gleichzeitig werde der Standort Deutschland für internationale Geschäftspartner und Kunden attraktiver und sich die Wettbewerbsfähigkeit erhöhen.
Zurückhaltend gibt sich derweil der Deutsche Beamtenbund (DBB). DBB-Präsident Ulrich Silberbach verweist darauf, dass in den Behörden schon vielfach Englisch gesprochen werde. Außerdem würden statt Englisch vor allem Französisch, Arabisch und Farsi benötigt werden. „Sprachkompetenz in der Verwaltung ist vor allem eine Frage des Geldes. Wir brauchen Fortbildung, Übersetzungstools und Sprachmittler, aber das sind alles Investitionen ins Personal, und da stehen die Dienstherren gerne auf der Bremse. Die deutsche Verwaltung ist so international, wie man sie sein lässt. Ein pauschales Englisch-Gebot hilft uns nicht weiter, sondern mehr Know-how für das Personal“, so Silberbach.
Gelebte Realität ist das eine, die offizielle Aufnahme von Englisch als zweite Amtssprache etwas ganz anderes. Denn Deutsch ist bundesgesetzlich vorgegeben. Folglich müssten Bund und Länder zustimmen – bislang setzt sich nur die FDP für eine solche Änderung ein.