Ballon-Affäre: China geht in die Offensive – und treibt sich immer weiter ins Abseits
Chinas angeblicher Spionageballon treibt im Pazifik, das Verhältnis zu den USA ist auf einen neuen Tiefpunkt gesunken. Peking geht dennoch in den Angriffsmodus über.
München/Peking/Washington – An diesem Sonntagvormittag (5. Februar) wäre er wohl in Peking gelandet, zunächst zu einem Briefing in der US-Botschaft geeilt, später dann ins Zentrum Peking gefahren, zu hochrangigen Gesprächen mit seinem chinesischen Amtskollegen, vielleicht sogar mit Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping. Das zumindest konnte man in den vergangenen Tagen hören über den geplanten China-Besuch von US-Außenminister Antony Blinken.
Chinas Regierung wollte die Visite bis zuletzt allerdings nicht bestätigen. „Darüber, ob Außenminister Blinken China besuchen wird, habe ich nichts mitzuteilen“, erklärte noch am Freitagvormittag Mao Ning, Pekings Außenamtssprecherin. Wenig später gab es dann nichts mehr, das Mao hätte bestätigen können: Blinken sagte seinen Besuch ab, aus Ärger über die Sichtung eines angeblichen chinesischen Spionageballons am Himmel über Montana.
Der Ballon, laut US-Verteidigungsministerium so groß wie drei Busse, treibt mittlerweile vor der Atlantikküste von South Carolina. Beziehungsweise das, was davon übrig ist, nachdem das Flugobjekt am Samstag (4. Februar) von US-Kampfjets vom Himmel geholt worden war. Peking hatte zuvor behauptet, es handle sich nicht um einen Spionageballon, sondern um ein ziviles „Luftschiff“, das wissenschaftlichen Zwecken diene und vom Kurs abgekommen sei. „Wir haben nicht die Absicht, das Hoheitsgebiet oder den Luftraum eines souveränen Landes zu verletzen, und haben dies auch nie getan“, erklärte das Außenministerium in Peking.
Und schob dann fast trotzig hinterher, dass der China-Besuch von Blinken sowieso nie bestätigt worden sei. Und ein Besuch, den es zumindest offiziell nie gab, kann auch nicht abgesagt werden. Also, wo ist der Skandal?
Vorfall um Spionageballon in den USA: China reagiert dünnhäutig
Peking bemüht sich derzeit verzweifelt, das diplomatische Drama, das sich in den letzten Tagen vor den Augen der Weltöffentlichkeit entfaltet hat, kleinzureden. Am Freitag erklärte Peking zunächst kleinlaut, man „bedauere“ den Vorfall, wenig später ging der Propaganda-Apparat des Landes dann aber in die Offensive und präsentierte China nicht als Täter, sondern als Opfer. Nach dem Abschuss des Ballons protestierte Peking am Sonntag gegen die „offensichtliche Überreaktion“, zuvor hatte das Außenministerium „einigen Politikern und Medien in den USA“ vorgeworfen, sie hätten „das Thema hochgespielt, um China anzugreifen und zu verleumden“.

Peking befindet sich in einer Zwickmühle. Die Regierung kann es sich nicht leisten, dass sich die Beziehungen zu den USA noch weiter verschlechtern. Denn die wirtschaftlichen Probleme, vor denen das Land steht, sind groß, und noch ist Peking auf amerikanische Technologie angewiesen. Gleichzeitig kann sich das Regime aber keine Schwäche nach innen erlauben, zumal die Massendemonstrationen, die zum Ende der Null-Covid-Politik beitrugen, keine zwei Monate zurückliegen.
In Zeiten, in denen es im Inneren des Landes knirscht, präsentiert sich China auf der Weltbühne gerne als verlässlicher und starker Partner. Im Westen mag diesen Beteuerungen schon lange niemand mehr Glauben schenken, zu aggressiv tritt China in seiner Nachbarschaft auf; daheim aber verfing die Erzählung, die Chinas staatlich kontrollierte Medien gebetsmühlenartig wiederholen.
Wie die Weltmacht, die es gerne wäre, klang Peking in den letzten Tagen allerdings nicht. Eher wie ein schlechter Verlierer. Dabei hatte Parteichef Xi noch im Oktober voller Stolz verkündet, „Chinas internationaler Einfluss, seine Anziehungskraft und seine Gestaltungskraft haben sich deutlich verbessert“. Jetzt aber reagiert Peking so, wie es immer reagiert, wenn es angegriffen wird: trotzig, uneinsichtig und äußerst dünnhäutig.
„Die Zukunft des Planeten hängt von einer stabilen Beziehung zwischen China und den USA ab“
Anfang Januar schrieb Qin Gang, Chinas neuer Außenminister, in einem Zeitungsartikel, „die Zukunft des Planeten hängt von einer stabilen Beziehung zwischen China und den USA ab“. Auch US-Kommentatoren sprechen regelmäßig vom wichtigsten bilateralen Verhältnis der Gegenwart. Wer wollte, der konnte in den letzten Monaten durchaus Anzeichen finden, die optimistisch stimmten, dass sich die beiden Großmächte tatsächlich wieder annähern. Etwa das Zusammentreffen von US-Präsident Joe Biden mit Xi Jinping im November in Bali. „Ich bin fest davon überzeugt, dass es keinen neuen Kalten Krieg geben muss“, sagte Biden nach dem Gespräch. Damals, am Rande des G20-Gipfels, wurde auch der Blinken-Besuch in Peking angekündigt. Nun war es Biden, der den Befehl zum Abschuss des chinesischen Ballons gab.
Große Erwartungen gab es an Blinkens geplanten China-Besuch ohnehin nicht, zu festgefahren sind die Beziehungen zwischen Peking und Washington. China bedroht das demokratische Taiwan, sperrt in der Provinz Xinjiang Hunderttausende Menschen in Umerziehungslager, unterstützt Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine – so sieht man das in Washington. Peking wiederum wirft den USA vor, seinen legitimen Aufstieg zur Weltmacht mit unfairen Mitteln zu behindern, und verweist auf die Entscheidung von Joe Biden, China vom Zugang zu hochmodernen Computerchips abzuschneiden, und auf die militärischen Bündnisse, die Washington in der Region ausbaut.
Als Antony Blinken am Freitag in einem Gespräch mit Chinas Top-Diplomaten Wang Yi seinen Peking-Besuch absagte, erklärte er, die Visite nachholen zu wollen. „Er betonte, dass sich die Vereinigten Staaten für ein diplomatisches Engagement und die Aufrechterhaltung offener Kommunikationslinien einsetzen“, sagte nach dem Telefonat der Sprecher des US-Außenministeriums, „und dass er bereit sei, Peking zu besuchen, sobald die Bedingungen es zulassen.“ Jetzt, so sieht man das in den USA, ist China am Zug.