Virologe im Interview: So viele Deutsche haben bereits Antikörper gegen das Coronavirus im Blut

Die Zahl der Coronavirus-Fälle steigt weiter an. Christian Drosten erklärt bei NDR Info, ob Herdenimmunität der Coronavirus-Pandemie bald den Schrecken nimmt.
- Seit 20. März 2020 gelten wegen des Coronavirus* Ausgangbeschränkungen in Bayern, kurz darauf wurden sie für die gesamte Bundesrepublik festgelegt.
- Virologe Christian Drosten erklärt in einem Podcast auf NDR Info, warum wir weiterhin geduldig sein müssen, wie wir uns gegen das Virus wappnen können, wo die größte Ansteckungsgefahr herrscht und wie viele Bürger bereits immun gegen Covid-19 sein könnten.
- Zudem gibt er Auskunft, welche Erkenntnisse man nun aus den Corona-Fällen in München ziehen könne.
Update vom 27.04.: Weit unter zehn Prozent der Bevölkerung hat Coronavirus-Antikörper entwickelt
In einem aktuellen Interview des Norddeutschen Rundfunks mit Christian Drosten, dem Leiter der Virologie an der Berliner Charité, kommt dieser zu einer ernüchternden Feststellung: Herdenimmunität sei noch lange nicht in Sicht. Mit Herdenimmunität ist der indirekte Schutz vor einer ansteckenden Krankheit gemeint, der entsteht, wenn ein Großteil der Bevölkerung bereits immun gegen den Erreger ist - unabhängig davon, ob der Körper nach überstandener Krankheit Antikörper entwickelt hat oder der Schutz durch eine Impfung gegeben ist.
Neue Studien weisen darauf hin, dass eine Herdenimmunität gegen den Covid-19-Erreger Sars-CoV-2 noch in weiter Ferne liegt. Es laufen bereits erste Antikörper-Studien weltweit, wie etwa eine groß angelegte kalifornische Untersuchung mit 3.300 Studienteilnehmern. Nur bei 2,8 Prozent der Probanden konnten die Wissenschaftler Coronavirus-Antikörper nachweisen*. Dieses Ergebnis könne man auch auf Deutschland übertragen: "Wir haben im ganz niedrig einstelligen Bereich die Antikörper-Prävalenz", fasst es Christian Drosten zusammen.
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Update vom 17.04.: Wo sich die meisten Menschen aktuell mit Coronaviren anstecken
Ausgangsbeschränkungen und Kontaktsperren zeigen erste Wirkung: Die Ausbreitung des Coronavirus verlangsamt sich in Deutschland. Eine positive Entwicklung, die nicht überrascht: Das öffentliche Leben steht fast still, Menschen verlassen das Haus nur noch wenn notwendig, etwa wenn ein Arztbesuch ansteht oder der Kühlschrank aufgefüllt werden muss. Daher liegt der häufigste Übertragungsweg im Moment auf der Hand, wie Virologe Christian Drosten im Interview mit NDR Info feststellt. "Ich würde denken, und das wissen wir ganz genau aus Wuhan, dass im Moment die meisten Übertragungen in Privathaushalten stattfinden", so der Virologe.
Das Problem daran: "Das ist aber fast trivial, das ist ja fast selbstverständlich, und das sagt uns jetzt nichts darüber aus, wie in der normalen Situation die Übertragungen stattfinden. Also wo, an welcher Stelle, in welcher Alltagssituation die meisten Übertragungen stattfinden*. Denn diese Alltagssituationen sind ja im Moment ausgeschaltet". Es sei in dieser Phase der Pandemie noch zu früh, ein Prinzip in Hinblick auf die Übertragungswege des Virus zu erkennen: "Wir müssen uns klar machen, dass im Moment das gesamte Infektionsgeschehen zufällig verteilt ist – so wie wenn man sagen würde, man wirft eine Handvoll Kieselsteine auf einen Parkplatz, dann verteilen die sich ja auch vollkommen zufällig", so Drosten.
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Update vom 10.04.: Experte verrät, wie man einer Coronavirus-Infektion am besten vorbeugt
Im Interview mit NDR-Redakteurin Anja Martini verrät Christian Drosten als Direktor des Instituts für Virologie an der Charité in Berlin, welche Maßnahmen gegen eine Coronavirus-Ansteckung er als sinnvoll einstuft. Abstand halten: Das sei das Gebot der Stunde. Das sollte Drosten zufolge aktuell in jeder Situation eingehalten werden - ob beim Einkaufen oder während der Jogging-Runde. "Natürlich ist es immer gut, körperlich fit zu sein. Sicherlich ist es nicht so, dass man sich beim Laufen im Park, nur weil man anderen Leuten entgegenkommt, gleich infiziert. Darum sollte man sich sicherlich nicht sorgen, nach draußen zu gehen und Laufen zu gehen. Das kann man, denke ich, schon empfehlen. Aber da hört es dann auch auf", so Drosten im NDR-Podcast.
Nahrungsergänzungsmittel wie Vitamin D* oder Vitamin C werden aus medizinischer Sicht nur für Menschen mit einem ärztlich diagnostizierten Mangel empfohlen - für gesunde Erwachsene sieht Drosten in der aktuellen Situation keinen Mehrwert: "Ich habe auch noch nie gehört, dass es da irgendwo einen durchschlagenden Effekt gäbe, sodass man jetzt sagen würde, im Rahmen so einer laufenden Infektionsepidemiologie muss man das (Anmerkung d. Redaktion: Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln wie Vitamin C) speziell so empfehlen.
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Coronavirus-Update vom 02.04: Das können wir aus den Coronavirus-Fällen in München lernen
In einem Podcast von NDR Info gibt Virologe Christian Drosten regelmäßig Auskunft zur aktuellen Lage rund um das Coronavirus. In der Folge vom 30. März 2020 erklärte er auf die Frage, warum wir in Deutschland hinsichtlich Infizierter und Corona-Toter weltweit verhältnismäßig gut dastünden: "Wir haben extrem früh in der Breite eine ganz große Kraft in der Diagnostik ausgerollt und wir haben deswegen ganz früh unsere Fälle bemerkt. Das liegt eben daran, dass man gleich am Anfang schon diese Münchener Kohorte hatte, wo es klar wurde: Mit großer Kraft kann man das verhindern, dass sich das weiter ausbreitet. Das war ja eine Erfolgsgeschichte, diese Münchener Kohorte, dass man die so kontrolliert hat."
Alle Gesundheitsämter hätten ebenfalls sofort reagiert und seien achtsam gewesen, so Drosten weiter. Die Diagnostiklabore seien in der Lage gewesen, Diagnosen zu stellen. So habe man auch milde Fälle feststellen können. Deutschland sei somit in der Coronavirus-Krise mit das Land, das am besten Diagnostik betreiben würde.
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"Das führt zu verschiedenen Nachfolge-Effekten", so Drosten. Etwa, dass die Corona-Patienten in Deutschland vergleichsweise jung seien, bei rund 48 Jahren läge hier der Schnitt. In anderen Ländern sei das Durchschnittsalter der Erkrankten viel höher.
"Eine Sache, die häufig vergessen wird, ist, dass dieses Virus - und das kann ich deswegen sagen, weil ich viel Erfahrung habe mit einem anderen Coronavirus, mit dem MERS-Virus in der arabischen Welt: Diese Viren sind nosokomial übertragende Viren, also Krankenhaus übertragende Viren." Viele der Patienten seien also zusätzlich zu der normalen Ansteckung in der Bevölkerung in Krankenhäusern angesteckt worden. Dies betreffe dann meist eher ältere Menschen und solche mit Vorerkrankung. Dringe also das Coronavirus in ein Krankenhaus ein, verschiebe sich somit auch das Durchschnittsalter der Infizierten.
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Das wurde bisher hinsichtlich der Münchener Coronavirus-Patienten herausgefunden
Eine Studie zu den Fällen in München, die auch schon für die Öffentlichkeit verfügbar sei, umfasse vor allem zwei wichtige Dinge. Das eine sei die Übertragungsrate. Hierbei seien viele Fälle bei jungen Menschen aufgetreten, die sich privat getroffen haben und sich auf diese Weise angesteckt haben. Drosten nennt dies die "Sekundäre Attack Rate".
Zudem wichtig seien die Risikokontakte am Arbeitsplatz und im Freizeitleben. "Das ist eine sehr aussagekräftige Teiluntersuchung. Wir hatten hier 217 Patienten und davon haben sich elf infiziert über diese Zeit. Und zwar fast alle symptomatisch. Das ist eine sehr wichtige Wahrnehmung." Fünf Prozent dieser Hochrisikokontakte** haben sich also infiziert. Hierbei seien auch Symptome aufgeführt worden, die nur sehr leicht ausgeprägt waren, wie etwa Halskratzen. Nur ein Patient sei in der Studie asymptomatisch gewesen. Eine Person habe sich sogar angesteckt, weil sie Rücken an Rücken zu einer bereits infizierten Person in einer Kantine gesessen habe, die sie nach dem Salzstreuer gefragt habe.
**Hochrisikokontakt: Mindestens 15 Minuten Gesicht zu Gesicht, Gesprächsnähe.
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sca
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